Selbstverständnis PERSPEKTIVE SOLIDARITÄT (Stand 10.2020)
Wir sind davon überzeugt, dass wir nicht noch mehr Aufzählungen/ Papiere/ Analysen darüber brauchen, wie zerstörerisch der Kapitalismus ist und wir ihn deshalb überwinden wollen (Negation des Bestehenden).
All das ist längst bekannt und so offensichtlich, dass schon viel größere gesellschaftliche Kreise in der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsform keine Zukunft sehen. Und wer es (noch nicht) weiß, spürt oder erahnt es zumindest.1
Auf dieser Grundlage bleibt es zwar weiterhin notwendig auf die Zerstörungen/ Vorhaben der kapitalistischen Maschine zu reagieren, aber viel mehr brauchen wir Positionen, Vorstellungen davon, wie es denn anders, besser, sozialer, ökologischer, nachhaltiger, gerechter zugehen kann auf dieser Welt. Wir brauchen eine Vielzahl von Proaktionen, guten, lebendigen Beispielen, sowie ein starkes (inneres) Band, um uns gegenseitig in diesen Kämpfen für etwas zu unterstützen, bestärken und zu verbinden.
Und zuerst mal brauchen wir ein Aufbrechen des Mantras, dass es zum Kapitalismus keine Alternative gäbe.
Es gibt Alternativen. In vielfältigsten kleineren und größeren Initiativen versuchen Menschen (weltweit) solidarische Projekte aufzubauen, die eine Ausplünderung des Planeten (Mensch-Tiere-Natur) für noch mehr Reichtum und Profit für ein paar Wenige beenden wollen. Deshalb nennen wir uns Perspektive Solidarität.
Bei all diesen Ansätzen, Projekten, Initiativen, das was uns unterscheidet nicht zum uns Trennenden werden zu lassen, sondern als Bereicherung für lebendige Auseinandersetzungen zu erfahren, ist von enormer Bedeutung. Wir wollen rausfinden, was uns verbindet, das weiter entwickeln und stärken. Und nur so können wir eine unüberseh- und unüberhörbare Kraft werden, die ein gerechtes, soziales, nachhaltiges, ökologisches Leben für ALLE möglich macht.
Wir gehen davon aus dass…
1. eine unserer ursprünglichen Eigenschaften als Mensch eine solidarische Lebenseinstellung (Haltung) und eine tiefgehende und umfassende Menschlichkeit und Solidarität ist. Diese ursprüngliche Eigenschaft und Lebenseinstellung wurde durch die „Gesetze“ des Kapitalismus und der damit verbundenen Lebensweise überdeckelt und zugeschüttet. Diese Eigenschaft und Lebenseinstellung wollen wir wieder wecken und kultivieren. Dafür arbeiten wir auch an einem gemeinsamen/kollektiven Bewusstsein, das politisch und persönlich selbstbestimmt, geschichtsbewusst und perspektivisch ist.
2. wir zusammen das Potential sind, die die Welt solidarisch erhalten und kultivieren kann Diese Schubkraft wollen wir stärken, neue Projekte anschieben, die sich diese solidarische Wirtschaftsweise und Lebensstrategie aneignen und unsere Gesellschaftskultur solidarisch gestalten.
3. der Prozess der Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft nur gleichzeitig laufen kann, er bedingt einander, geht Hand in Hand in einander über. Wir können den Kapitalismus mit einer Solidarischen Wirtschaft aushebeln und ersetzen, indem wir solidarische Gesellschafts-/ Kultur- und Wirtschaftsstrukturen in einem viel stärkeren Maß weiterentwickeln, ausbauen und miteinander verbinden.
4. eine grundlegende Eigenschaft (und Merkmal) einer Solidar-Wirtschaft ist, keine Profite zu erwirtschaften, sondern die gemeinschaftsfördernde Produktion nützlicher und schöner Dinge und Gebrauchsgüter. Wenn Überschüsse erwirtschaftet werden, wird gemeinschaftlich bestimmt und entschieden, was damit passiert. – Dann ist genug für ALLE da!
Enteignung und Aneignungsprozesse
Wir verstehen Enteignung und Aneignung in einem umfassendem Sinn. Es geht um weitaus mehr, als (materiell) die Häuser, die Fabriken denen zu geben, die darin wohnen/ arbeiten. Auch die Kultur (ideell), das Gesundheitssystem, die Erziehung – alle gesellschaftlichen Bereiche, das Gemeinwesen, wollen wir mit der dem Menschen inne wohnenden solidarischen Grundhaltung wieder beleben. Kapitalismus raus aus den Köpfen ist für uns deshalb weitaus mehr, als eine guter Slogan, eine Parole. Es ist das tägliche Hinterfragen unserer Haltung, Meinung und unseres Handelns.
All das, das brauchen wir, um dem Sumpf der Gier, Konkurrenz, Neid, (der ewigen Wiederholungen von Herrschaftsstrukturen und -regimen) entkommen zu können.
Entwicklung einer Konsenskultur! Konsenskultur das ist für uns weitaus mehr, als eine Methode. Es ist eine Lebensweise, überall und immer anwendbar. Diese Lebensweise wollen wir uns (wieder) aneignen.
- Eine solidarische Haltung – eine grundsätzlich andere Haltung ist nötig, um den Kapitalismus/ das räuberische Prinzip = den Egoismus zu überwinden. Das ist für uns ein wesentlicher Kern. Wir brauchen eben mehr, als einen System Change/ Systemwandel. Wir als Menschen, als Menschheit gestalten unser Zusammenleben und sind die Kraft, die die Ausbeutung, Unterdrückung und Zerstörung stoppen kann. Uns geht es darum: Immer wieder die eigene Haltung hinterfragen, selbst anfangen, sich gegenseitig – solidarisch – unterstützen, das was uns verbindet „pflegen“ und ausbauen – materiell aber auch geistig. Ein Verständnis dafür zu entwickeln, dass wir (bei aller Verschiedenheit) miteinander verbunden sind und einander brauchen. Alles ist mit allem verbunden. Das lässt sich nicht erzwingen, kann nur „von innen kommen“, hat mit der eigenen Entscheidung zu tun. Jede*r hat die „Freiheit“ sich entscheiden zu können …wofür sie/er/es leben will. Was treibt uns an? Wofür kämpfen wir?
- Kritikfähigkeit lernen – solidarische Kritik äußern/ und Selbstkritik- Dafür brauchen wir Raum und Zeit – das ist auch Arbeit. Es ist die Arbeit an der Kultur an der Gemeinschaft. – die geistige Kraft kultivieren2
- Verantwortung übernehmen – Verbindlichkeit – Sicherheit durch die Beziehungen zu anderen Menschen…
- Offenheit für andere Sichtweisen – Verschiedenheit als Bereicherung erfahren. Verschiedenheit ist nötig um zu guten Lösungen zu kommen.
- Eine Ethik der Liebe – Wir sind mit Leib und Seele, mit Haut und Haar allen Menschen und allen Lebewesen in Liebe zugetan. Das ist Universal. Liebe kennt keine Grenzen, keine Nation, kein Geschlecht…
Arbeit/ Politik neu definieren und gestalten! Arbeit ist nicht nur Lohnarbeit. Das Private ist politisch. Wir wollen auch raus aus dieser künstlichen Spaltung in (Lohn)Arbeit und Freizeit. Warum sollte Arbeit keine Freude bringen? Warum sollten wir nicht auch in unserer „Freizeit“ freudig produktiv sein?
- Selbstorganisierung – in allen gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen und auf allen Ebenen. Selbstbestimmung, Selbstorganisierung und Selbstverwaltung ist fundamental für eine gerechte, solidarische Gesellschaft.
- Konsumstreiks – wir finden es wichtig, uns unserer Macht als Verbraucher*innen bewusst zu werden. Wir können selbst entscheiden, was wir kaufen, was wir konsumieren, und wen wir mit unserem Einkaufs-verhalten unterstützen. Wir können Dinge reparieren, wieder verwenden, umgestalten, in Kreisläufe zurück führen, usw.
- Wirtschaftssyndikate und Kooperation – die Nahrungsmittel- und alle Industrien ersetzen durch (regionales), solidarisches Wirtschaften, durch Wirtschaftskollektive. Raus aus den Nischen kommen. Raus aus der Defensive.
- Politik neu gestalten – Politik das ist für uns das, was wir alltäglich tun, wie wir unsere (individuellen/ subjektiven) Bedürfnisse und Interessen in der Auseinandersetzung mit anderen vergemeinschaften/ objektivieren und (neu) bestimmen3. Für uns ist die Mehrheitsdemokratie nur ein „Zwischenschritt“, weil in ihr die Minderheit nicht mit entscheidet.
Aber auch vermeintlich hierarchielose Zusammenschlüsse (ohne „Chefs“ und Abstimmungen) sind nicht automatisch gerecht und solidarisch. Allzu oft bilden sich in diesen Zusammenschlüssen informelle Hierarchien und Dominanzstrukturen. In einer solidarischen Gesellschaft alle sind gleichwertig und gleichberechtigt in ihrer Vielfalt und Verschiedenheit. Allen wird respektvoll begegnet und alle finden Gehör. Eine solidarische Gesellschaft sucht Entscheidungen unter der Beteiligung der direkt Betroffenen (Betroffenheitsprinzip), die alle tragen können und wollen. Dafür brauchen wir eine neue, selbstbestimmte, transparente Absprachen, Ordnung(en) und Struktur(en) – im Kleinen wie im Großen.
Der Weg ist das Ziel und die Perspektive und die Strategie.
- Das zeigen auch Umfragen: „55 Prozent der Deutschen glauben, dass der Kapitalismus in seiner heutigen Form mehr schadet als hilft… Nur zwölf Prozent der… in Deutschland Befragten ist der Ansicht, dass das aktuelle System für sie arbeite… Lediglich 23 Prozent der Deutschen blicken optimistisch in ihre ökonomische Zukunft.“
(Edelman Trust Barometer 2020)
↑ - „Wir haben nicht gelernt, Kritik zu hören, aber auch nicht, sie so auszudrücken, dass sie gehört und angenommen werden kann. Das kann man zwar lernen, es bedarf aber einer Haltungsänderung. … Es gibt keinen »Club der besseren Menschen«, aus dem man nur jemanden hinauswerfen muss, damit alles ist wieder in Ordnung ist.“
(aus: Eine bessere Konfliktkultur aufbauen von Rehzi Malzahn, Jungle World 16.07.2020)
↑ - „Politik ist nichts anderes als das Ermöglichen und Erhalten gelingender Beziehungen zwischen Menschen in ihrer Verschiedenheit.“
(aus: Liebe zur Freiheit, Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfrang der Politik. Von Ulrike Wagener, Dorothee Markert, Antje Schrupp, Andrea Günter – Februar 2001)
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